Lieber JJ, jetzt hast Du selbst Liebe verschwendet

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Was der Sieg von Johannes Pietsch beim Eurovision Song Contest mit den Beatles und dem Papst zu tun hat. Ein Brief von Wolfgang Lusak.

Als ich Dein „Wasted Love“ zum ersten Mal gehört habe, kam mir in Erinnerung, was ich 1962 empfunden habe, als ich zum ersten Mal die Beatles im Radio gehört habe. Sie haben von Europa aus die Welt erobert, sogar Verzweifelten Mut gemacht. Heute erinnert der brillant-goscherte JJ an John Lennon, weil der auch gegen ein Establishment wetterte – allerdings ein anderes. Als John bei einem Konzert in Anwesenheit der königlichen Familie frech forderte, dass die Menschen auf den billigen Plätzen applaudieren sollten, aber „der Rest“ einfach mit den Juwelen klimpern möge, waren alle nur amüsiert. Als er aber einmal arglos meinte, die Beatles seien populärer als Jesus, war die Hölle los. In den USA wurden öffentlich Beatles-Platten verbrannt. Ihre Karriere war am Kippen, die Gesellschaft gespalten. Nur die Qualität ihrer Musik und zunehmende Reife rettete sie über diese Krise hinweg.

Lieber JJ, jetzt hast Du selbst Liebe verschwendet

Wolfgang Lusak

Jetzt musstest Du erkennen, dass Du mit dem ESC-Sieg eine größere Verantwortung trägst. Dass Du nicht nur an Deiner Musik, sondern auch an Deinen Aussagen gemessen werden wirst. Dass es heute gar nicht so einfach ist zu erkennen, wer gut und wer böse ist. JJ, wenn Du die Botschaft aussendest, dass Liebe die „stärkste Kraft“ ist, dann bitte denke auch daran, dass wahre Liebe niemanden ausschließt, sondern danach trachtet, alle zu vereinen. Dass Du zwar von der Zustimmung einer Community ganz gut leben kannst, Dir von den anderen aber ein rauer Wind entgegenschlägt.

Spätestens jetzt solltest Du erkennen, dass Du selbst Liebe verschwendet hast, wenn Du als Spalter auftrittst, der zwischen Gut und Böse unterscheidet, der die vielen Facetten der Geschlechtlichkeit innerhalb seiner Community betont, aber die verschiedenen Sichtweisen und Bemühungen in einer sehr komplexen Welt negiert. Aber Du hast immer noch die Chance zu vereinen. Das bedeutet aber, den liebevollen Mut aufzubringen, „Deiner“ Community zu sagen, dass es Liebe auch außerhalb ihrer Ansichten gibt. Dass man nicht einfach den Ausschluss eines Landes bei einer Veranstaltung fordern kann, in dem es auch viele Menschen gibt, die nicht wie Netanjahu denken und handeln, die vermutlich mehrheitlich eine Musik wie Deine sehr schätzen.

An die Mitte der Gesellschaft zu denken, könnte also für Dich hilfreich sein. Eine Mitte, die versucht, die Balance zu halten zwischen Links und Rechts, Jung und Alt, Mann und Frau, Reich und Arm, strenggläubigem Patriarchat und liberaler Lebensweise. Eine Mitte, die reflektiert und seriös alle Facetten der Liebe annimmt. Auch der neue Papst strebt als Pontifex (lat. Brückenbauer) Liebe und Friede an. Auch wenn seine Vorgänger in Sachen Gleichberechtigung der Frauen, Schutz von Kindern, Nähe zu Vermögen und Macht vielfach versagt haben.

Sei also bitte auch Du ein Brückenbauer, ein Vermittler zwischen den Extremen. Du kannst selbstverständlich Unterstützer jeder Community sein, für die Dein junges Herz brennt, aber vereine dennoch die Menschen statt weitere Spaltung zu erzeugen. Sonst hast Du tatsächlich Deine Liebe verschwendet. Dein Fan Wolfgang.

Zum Autor:

Wolfgang Lusak ist Unternehmensberater und Obmann der „Lobby der Mitte“.

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