Restriktives Essen könnte Depressionen begünstigen
In der dieser Tage in der Fachzeitschrift BMJ Nutrition, Prevention & Health erschienenen Arbeit untersuchten Forschende Daten von mehr als 28.000 Erwachsenen aus der National Health and Nutrition Examination Survey, eine US-amerikanische Langzeitstudie zum Gesundheitsstatus und Ernährungszustand von Erwachsenen und Kindern. Erwachsene, die eine kalorienreduzierte Diät verfolgten – und hierbei insbesondere Männer und übergewichtige Personen – wiesen häufiger Symptome einer Depression auf.
Auch die Ernährungsqualität spielte eine Rolle: Der Konsum von hoch verarbeiteten Lebensmitteln, einfachen Kohlenhydraten, gesättigten Fettsäuren, verarbeitetem Fleisch und Süßigkeiten ging ebenfalls mit einem erhöhten Depressionsrisiko einher. Im Kontrast zur mediterranen Ernährungsweise. Die vitamin- und ballaststoffreiche Ernährungsart schien die Studienteilnehmenden vor Freudlosigkeit und Antriebsverlust zu schützen.
Die Gruppe um den Psychiater Venkat Bhat von der kanadischen Universität Toronto deutet die Erkenntnisse als Warnsignal: "Die Ergebnisse mahnen zur Vorsicht bei übermäßig restriktiven oder unausgewogenen Diäten, insbesondere bei Menschen, die bereits unter gewichtsbedingtem Stress oder Herausforderungen leiden", wird der Hauptautor der Studie vom US-Nachrichtensender CNN zitiert.
"Es ist bekannt, dass Crash-Diäten eine starke Belastung sind"
Die Studie hat allerdings ihre Schwächen: Dass die erhobenen Daten aus Selbstauskünften zur Kalorienaufnahme und nicht objektiven Messungen dieser beruhen, könnte die Erkenntnisse verfälscht haben. Anhand der Daten kann auch nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass eine kalorienreduzierte Ernährung tatsächlich Depressionen fördert. Denkbar wäre auch ein umgedrehter Effekt: Dass eine angeschlagene Psyche eher restriktives Essverhalten antreibt.
"Es ist aber bekannt, dass Crash-Diäten eine starke Belastung für Körper und Psyche sind", erklärt Alexandra Kohlhammer-Dohr, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin an der Med Uni Graz, gegenüber dem KURIER. "Durch die deutlich reduzierte Kalorienzufuhr kommt man in einen Hungerzustand, der Stressreaktionen auslösen kann."
Interessant ist, dass die Studie früheren Forschungen widerspricht: So befanden Fachleute in anderen Erhebungen – etwa einer Studie den King's College London aus dem Jahr 2023 –, dass der professionell begleitete Kalorienverzicht bei übergewichtigen Menschen depressive Beschwerden dämpfen kann. "Bei Patientinnen und Patienten mit Adipositas, die durch eine Kalorienreduktion Gewicht verlieren, wird in erster Linie auch für den Organismus belastendes Bauchfett abgebaut, auf das der Körper mit einer Entzündungsreaktion reagiert. Wird diese Entzündungsreaktion durch den Gewichtsverlust reduziert, kann sich das förderlich auf die Stimmung auswirken", weiß die Klinische Psychologin Melanie Sonja Schweinzer, die unter anderem auch psychologische Gutachten vor bariatrischen Operationen, etwa einer Magenbypass-OP, verfasst. Auch ein Wiedererlangen von Mobilität infolge eines Gewichtsverlusts könnten der Psyche Auftrieb geben.
"Wenn wir mangelernährt sind, sind wir weniger resistent gegen Stressoren"
Schweinzer streicht auch den Aspekt des Nährstoffmangels hervor: "Wenn im Organismus zu wenig Nährstoffe verfügbar sind, wird über die Darm-Hirn-Achse ein Warnsignal in Form von Entzündungsstoffen an das Gehirn gesendet, das krankheitswertige Symptome wie Rückzugsverhalten oder Ängstlichkeit auslösen kann, die depressiven Beschwerden ähneln und eine bestehende Depression auch entsprechend verstärken können", erklärt die Psychologin. "Wenn wir mangelernährt sind, sind wir also weniger resistent gegen Stressoren." Damit lasse sich auch erklären, warum etwa hochkalorische, aber nährstoffarme Kost wie Fast Food depressive Verstimmungen antreiben könne. "Gleichzeitig kann eine hochkalorische Mahlzeit mit vielen Nährstoffen protektiv wirken", sagt Schweinzer.
Ein Nährstoffmangel könne laut Kohlhammer-Dohr insbesondere den Tryptophanstoffwechsel beeinträchtigen, der für die Bildung von Serotonin wesentlich ist. "Und wir wissen, dass ein Serotonin-Mangel bei viele depressiven Patientinnen und Patienten eine Rolle spielt."
Schweinzer betont zudem, dass man durch restriktive Diäten auch in ein beträchtliches Kaloriendefizit rutschen könne. Was wiederum Müdigkeit, Schlafprobleme oder Konzentrationsschwierigkeiten begünstige, die seelisch strapazieren können. Studien zeigen zudem, dass insbesondere extreme Ernährungsformen oft mit einem erhöhten Risiko für Angst- und Essstörungen einhergehen.
Die psychische Verfassung berücksichtigen
Die Forschenden um Psychiater Bhat betonen, dass bei diätologischen Ernährungsempfehlungen die psychische Verfassung berücksichtigt werden sollte. Dem pflichtet Schweinzer bei: "Lebensstiländerungen im Hinblick auf Ernährung oder auch Bewegung sind immer kräftezehrend. Wenn jemand bereits an einer Depression leidet, können solche Umstellungen nochmals schwerer fallen."
Es gelte auch die Funktion des Essens mitzudenken, sagt Kohlhammer-Dohr: "Viele nutzen übermäßige Nahrungszufuhr als Antidepressivum. Wenn bestimmte Lebensmittel im Zuge einer Diät wegfallen, fehlen automatisch Strategien zur Stressbewältigung." Wird bei einer Diät sehr wenig gegessen, fallen mitunter auch Möglichkeiten der sozialen Interaktion weg, "was zusätzlich belasten kann".
Studienleiter Bhat spricht sich jedenfalls "für ausgewogene, nachhaltige Ernährungsumstellungen" aus, die "individuelle psychologische Auswirkungen berücksichtigen"
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