1. Der Aufwand
Am Tag nach seinem Freispruch hinterfragt Kurz vor Journalisten die „überbordende Intensität“, mit der er verfolgt worden sei: Im Ermittlungsverfahren wurden 30 Zeugen befragt, vor Gericht wurde zwölf Tage lang verhandelt. Die Ermittlungsbehörde habe – auch für sich selbst – so einen Druck aufgebaut, „dass am Ende etwas herauskommen muss, sonst ist der Aufwand nicht zu rechtfertigen“.
Was Kurz nicht erwähnt: Auch er hat einigen Aufwand betrieben. Der Strafantrag zählte 109 Seiten, das schriftliche Urteil rund 90 – sein Verteidiger hielt das Gericht anschließend mit Protokollberichtigungen (teils Beistrichfehler) auf Trab und brachte seinerseits rund 600 Seiten Rechtsmittel (inkl. Beilagen) ein.
Unter den 10.000 Medienberichten weltweit, die Kurz erwähnte, sind viele Interviews, die er gab; zudem beschäftigte er einen Pressesprecher, der vor, während und nach den Prozessterminen Aussendungen verschickte.
Bei der Ermittlungsdauer kommt freilich auch zum Tragen, dass der Sachverhalt, auf den sich die Falschaussage bezog, komplex war (es ging um Besetzung von Posten in der Staatsholding ÖBAG). Die Beweisaufnahme hat immerhin dazu geführt, dass Kurz schon vom Erstgericht in zwei von drei Anklagepunkten freigesprochen wurde. Ob die Anklage von vornherein gerechtfertigt war, steht auf einem anderen Blatt – ausgiebig geprüft wurde sie jedenfalls. Apropos:
2. Der Promi-Status
Kurz war ein hoher Amtsträger, sein Strafverfahren von öffentlichem Interesse – und ein solcher „clamoroser“ Fall wird per Gesetz anders behandelt als bei einem Normalbürger. Alleine der Weg, den Strafantrag von der Oberbehörde und dem Justizministerium samt Weisungsrat abzusegnen, dauerte mehr als acht Monate.
Klar ist auch: Gerade bei einem Verfahren wie diesem, das auch international verfolgt wurde, schöpfen alle Seiten – Ermittler, Gerichte, Verteidiger – aus dem Vollen, wollen sie doch tunlichst keine Fehler machen und nichts übersehen.
Kritikwürdig ist die Causa in der Gesamtbetrachtung durchaus. So sagte Wirtschaftsstrafrechtler Robert Kert in der "ZiB 2": „Man fragt sich, ob es gerechtfertigt ist, nur weil der Angeklagte so prominent ist, so einen Aufwand zu betreiben.“
3. Das Urteil
Kurz wurde freigesprochen, weil das OLG im Protokoll eine Stelle fand, wonach Kurz im U-Ausschuss eine Ja-Nein-Frage (ob er bei der Bestellung der Aufsichtsräte eingebunden gewesen sei) mit „Ja“ beantwortet hatte. Weil niemand mehr nachgefragt hat, war die Frage abschließend beantwortet – und seine Aussage keine falsche. Ein recht formalistischer Ansatz, weil das Gesamtbild seines Auftritts im U-Ausschuss in der OLG-Beurteilung offenbar keine Rolle spielt.
So zeigte sich Irmgard Griss, ehemalige Höchstrichterin und Neos-Abgeordnete, am Dienstag im Ö1-„Morgenjournal“ irritiert: „Ich weiß nicht, das ist sicher gewöhnungsbedürftig und eine Herangehensweise, die möglich ist, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, das zu sehen.“
4. Der U-Ausschuss
Kurz’ Verteidiger Otto Dietrich sagte in seinem Plädoyer, es sei eine „falsche Rechtsansicht“, dass im U-Ausschuss und vor Gericht dieselben Sanktionen für Verstöße gegen die „Wahrheitspflicht“ gelten. Die Voraussetzungen seien schlicht nicht dieselben: Ein Staatsanwalt bzw. Richter befragt objektiv, ein Abgeordneter nicht. Im Strafverfahren muss der Sachverhalt umfassend von allen Seiten erhoben werden, ein U-Ausschuss befragt je nach politischer Agenda und eher oberflächlich.
Das sieht Werner Zögernitz, Parlamentarismusforscher, auch so: „Man darf hier nicht dieselben strengen Maßstäbe anlegen.“ Eine Lösung für das Problem ist schwer vorstellbar. Die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss abzuschaffen, würde Befragungen ad absurdum führen.
Seit Langem diskutiert wird, U-Ausschüsse öffentlich im Fernsehen oder im Internet zu übertragen – in der Hoffnung, Abgeordnete mögen sich dann besser „benehmen“. Da gelte es aber die Identität von Auskunftspersonen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, zu schützen, so Zögernitz.
5. Die Anzeige-(Un-)Kultur
Dass Anzeigen als politische Waffe eingesetzt werden, ist nicht neu. Die Justiz hat bereits nachgeschärft, indem sie im Anzeige-Stadium prinzipiell keine Auskünfte gibt, sondern erst, wenn sich der Verdacht erhärtet und Ermittlungen eingeleitet werden. Auch die sind prinzipiell nicht öffentlich, über diverse Kanäle sickern aber immer Infos an Medien durch.
Die ÖVP-Idee eines Zitierverbots aus dem Strafakt wurde schon in der vorigen Legislaturperiode verworfen. Eine Neuauflage ist unter ÖVP-SPÖ-Neos nicht in Sicht.
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