Kapitalismus im Kriegsgebiet: Israel lagert Gaza-Hilfen an US-Stiftung aus

Massen von Menschen stürmen das Gelände eines abgelegenen Parkplatzes, sie klettern über Sandwälle, drücken Zäune zu Boden, manche hängen sich auf heranfahrende Lkw, um irgendwie an Essen zu kommen. Kurz darauf fallen Schüsse. Panik bricht aus, die Menge zerteilt sich.

Bilder der chaotischen Szenen bei der Vergabe von Lebensmittelpaketen im Gazastreifen gingen am Dienstag um die Welt. Zuvor war elf Wochen lang keine einzige Lieferung bei der Zivilbevölkerung im Gazastreifen angekommen, bis Israels Militär in der Vorwoche erste Lkw durchließ.
Die Verteilung der Hilfsgüter übernahm die Armee in einer Übergangslösung zunächst selbst, bisher hatten NGOs und Teilorganisationen der Vereinten Nationen das übernommen.
Seit Montag hat das Militär diese heikle Aufgabe an eine private, US-amerikanische Stiftung namens Gaza Humanitarian Foundation (GHF) übertragen, die erst im November gegründet worden war. Am Dienstag hatte sie mit der Verteilung von Lebensmittelpaketen unter völlig neuen Bedingungen begonnen.
Flucht vor dem Ansturm
Israels Militär gab zunächst an, diese Pakete würden an zwei Orten an die Zivilbevölkerung verteilt werden. Die GHF selbst gab nur einen Ort an: Jenen umzäunten Parkplatz in Rafah, im äußersten Süden des Gazastreifens.
Augenzeugen bestätigten gegenüber den New York Times das Chaos vor Ort. Ein Mann gab an, er sei fünf Kilometer zum Parkplatz marschiert, wegen des enormen Gedränges aber mit leeren Händen geflohen: „Die Stimmung war sehr angespannt“, im Umfeld sei außerdem eine große Zahl israelischer Soldaten postiert gewesen.

Ein Mann mit einem GHF-Lebensmittelpaket.
Ein anderer sagte, er habe ein Paket mit schwarzem GHF-Sticker ergattert, aber "überhaupt keine Mitarbeiter" gesehen.
Israels Armeesprecher erklärte später, Soldaten hätten außerhalb des Geländes Warnschüsse abgefeuert, aber niemanden verletzt. Die GHF selbst gab an, das Team hätte sich aufgrund des „großen Bedarfs vor Ort“ zurückgezogen, um „einer kleinen Anzahl von Zivilisten die Chance zu geben, sich zu zerstreuen“. Trotzdem will die Stiftung am ersten Tag 8.000 Pakete unter das Volk gebracht haben.
So kam es zur Privatisierung der Gaza-Hilfsarbeit
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verteidigte die neue Strategie am Mittwoch: Sie verhindere, „dass Hamas-Terroristen Hilfsgüter stehlen und illegal weiterverkaufen“ könnten.
Laut den New York Times geht der Plan, die Verteilung der Gaza-Hilfen zu privatisieren, auf eine Gruppe israelisch-US-amerikanischer Geschäftsleute zurück. Sie soll schon kurz nach Kriegsbeginn nach Wegen gesucht haben, Israel aus der Abhängigkeit von UNO-Organisationen zu befreien, die sie als institutionelle Hamas-Helfer ansieht.
Das nötige Geld soll der jüdische US-Investor Michael Eisenberg aufgestellt haben. Woher es kommt, ist unklar. Eisenberg spricht von „einem kleinen Startkapital“ von 100 Millionen Dollar, das ein „westeuropäisches Land“ beigesteuert hätte.
GHF-Geschäftsführer trat noch vor Projektbeginn zurück
Als Projektleiter engagierte er den ehemaligen CIA-Offizier Philip F. Reilly. Dieser gründete über seinen Anwalt im vergangenen Winter die GHF – ebenso wie eine private Sicherheitsfirma namens Safe Reach Solutions (SRS), die von der GHF bezahlt wird, um die Lebensmittelvergabe in Gaza zu überwachen.
Als Geschäftsführer der GHF trat ein gewisser Jake Wood auf, der bereits viele Jahre für andere NGOs gearbeitet hatte. Der Mittdreißiger trat gewissermaßen als öffentliches Gesicht der Stiftung auf. "Ich würde mich in keinster Weise an einem Plan beteiligen", so Wood in der Vorwoche, "der die Fortsetzung eines Plans der israelischen Streitkräfte darstellt."
Am Sonntag, wenige Stunden vor dem Projektstart, trat er medienwirksam zurück: Es sei in dieser Funktion nicht möglich, „die Prinzipien der Menschlichkeit, Überparteilichkeit und Unabhängigkeit einzuhalten“. Die Stiftung nahm ihre Arbeit ohne ihn auf – unter der Leitung es Ex-Agenten Reilly.
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