Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (M.) - und ein Taschentuch auf dem Tisch; bei der Zugreise von Kiew zurück. Zusammen mit dem britischen Premier Starmer (li.) und dem deutschen Kanzler Merz.
Lügen, verunsichern, irritieren – wie Fake News aus russischen Quellen westliche Politiker bis hin zu ganzen Staaten ins Visier nehmen – und weltweit millionenfach geklickt werden.
Was haben eine vermeintliche Ohrfeige oder ein mutmaßlich spaßiger Stupser mit einem weißen Taschentuch gemein?
Gar nichts, außer, dass sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zwei Mal rechtfertigen musste. Doch es gibt einen eminent wichtigen Unterschied: Während sich nicht wirklich klären lässt, ob die Hand Brigitte Macrons jüngst aus Spaß oder Ärger im Gesicht ihres Gatten landete – ist die Behauptung, dass Macron bei einer Zugfahrt aus Kiew mit dem Taschentuch die Spuren seines Kokainverbrauchs verwischt habe, eine pure Lüge.
Behauptet wurde sie von einem französischen, rechtsextremen Social Media-Account, sofort aufgegriffen und millionenfach weiter verbreitet von russischen Medien. Und schon war sie in der Welt: die Fama vom Drogen konsumierenden französischen Staatschef.
„Es ist wie ein Schneeballsystem“, schildert ein hochrangiger Experte für Abwehr hybrider Angriffe, der im Gespräch mit dem KURIER anonym bleiben möchte. „Auf eine Lüge springt ein Netzwerk von Bots auf und dann multiplizieren all jene Influencer, Poster und Überzeugte weltweit die Erzählungen russischer Desinformationsfabriken.“
Wobei die Quelle dieser Fake news längst nicht immer in Russland zu finden sei. „Heute ist es Südafrika, morgen sind es die Niederlande, vielleicht ist es bald Deutschland, die IP-Adresse kann überall sein. Aber überall ist es die gleiche Taktik“, weiß der Experte:
Mit Künstlicher Intelligenz generierte Videos, Aufnahmen und Bilder werden die Opfer gezielt diskreditiert, dämonisiert, gedemütigt. Wie oft etwa wurden weltweit in den Sozialen Medien Posts geklickt, Brigitte Macron sei in Wirklichkeit ein Mann? Oder die Madame Presidente schlage ihren Gatten – was den französischen Staatschef wiederum schwach, hilflos und unmännlich wirken lässt. Ein Bild, das in den russischen sozialen Medien gerne verbreitet wird.
Wahre Fake-News-Wellen überschwemmen mittlerweile alle Wahlgänge in Europa, aber kaum ein Land – neben der Ukraine – ist heftigeren hybriden Angriffen aus Russland ausgesetzt als die kleine Republik Moldau. Da wird die Geduld und die Strapazierfähigkeit der nur rund 2,5 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung immer wieder mit falschen Bombenalarmen getestet. Da reiht sich eine Cyberattacke an die nächste, da wird die europa-freundliche Präsidentin Maia Sandu pausenlos als unfähig und kriegstreiberisch attackiert.
Vervielfacht haben sich die hybriden Angriffe vor allem seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor drei Jahren. Aber warum das kleine Moldau?
EU-"Außenministerin" Kaja Kallas und Moldaus Präsidentin Maia Sandu
Eine neue Front
„Es geht Russland letztlich gar nicht so sehr um uns“, schildert eine Stimme aus dem moldauischen Cyberabewehrbereich, „aber mit Moldau macht Russland eine neue Front auf. Wir sind ein Nachbar der Ukraine. Über uns will der Kreml den westlichen Rückhalt für die Ukraine schwächen und einen Keil in die Gespräche zwischen uns und Brüssel treiben. Wenn sie uns schwächen, schwächen sie indirekt auch Europa.“
Entsprechend bedrohlich sind die Erzählungen, mit denen die russlandfreundliche Influencer, Politiker und Soziale Medien die Bevölkerung in Moldau tagtäglich eindecken: Wer sich auf die EU einlasse, riskiere den nächsten Krieg, denn natürlich seien EU und NATO schuld am Waffengang in der Ukraine. Oder: Bei einem möglichen EU-Beitritt Moldaus werde das Land seine traditionellen Werte verlieren und seine Souveränität abgeben müssen.
Tatsächlich fließt erhebliche Finanzhilfe aus Brüssel nach Moldau, doch die Troll-Fabriken aus Russland verunglimpfen alle Hilfsmilliarden als „Zwang und bösartige Einflussnahme“ des Westens.
Neuerdings im Visier der kreml-beeinflussten Angriffswellen: die vielen Moldawierinnen und Moldawier im europäischen Ausland. Sie stellen fast ein Zehntel der Bevölkerung, sind durchwegs EU-freundlich und gaben bei jüngsten Wahlen stets den Ausschlag dafür, dass die russlandfreundlichen Kräfte im Land nicht siegten.
„Gehirnwäsche“
Weshalb in den Sozialen Medien jetzt plötzlich gegen die moldauische Diaspora gefeuert wird: „Wer im Ausland lebt, soll daheim nichts mitzureden haben“, heißt es. Oder: Die Auslandsmoldawier seien vom Westen „gehirngewaschen“.
Dass die Attacken aus Russland kommen, ist für alle im Land klar. „Sie verstecken sich gar nicht, agieren völlig transparent“, sagt der Cyberabwehr-Experte, „es gibt ganze Ökosystem der hybriden Attacken: Illegale Gelder; vor den jüngsten Wahlen wurden sogar prepaid Bankkarten verschenkt – von russischen Banken, die auf der EU-Sanktionsliste stehen. Oder: plötzlich wurden Pensionistengruppen nach Russland eingeladen. Sie haben diese Pensionisten quasi als Lastesel missbraucht – um ihre Botschaft nach Moldau zu tragen. Aber wie soll man sich als Staat dagegen wehren, wenn ganze Bevölkerungsgruppen ohne jeglichen Bezug zu Russland plötzlich dorthin eingeladen werden?“
Alle großen, russischen Desinformationsgruppen haben nach Angaben westlicher Geheimdienste Verbindungen zur russischen Militärgeheimdiensteinheit GRU 29155. Dort kann man auf einen reichen Erfahrungsschatz von Desinformation und Sabotage zurückgreifen: Schon vor Jahrzehnten praktizierte der frühere sowjetische Geheimdienst KGB die „Desinformazija“, die bewusste Verunsicherung durch Fehlinformation. Der Westen wurde als verdorben, korrupt und dekadent dargestellt.
Positive Erzählungen
Heute übernehmen „Trollfabriken“, Hacker, Influencer und Agenten das Schreiben und Verbreiten von Lügen und Irritation im Netz. „Russland ist mittlerweile die größte Gefahr für unsere innere Sicherheit und Demokratie“, sagte die frühere moldauische Innenministerin Ana Revenco. Auf die russischen Narrative – wonach die EU der Republik so sehr schade – geht die Regierung in Chisinau mittlerweile nicht mehr ein. Stattdessen die neue Strategie: Lügen nicht abwehren, sondern eine positive Erzählung entgegensetzen.
Denn auch wenn die Regierung versucht gegenzusteuern – mit Fakten-Checks, Informationskampagnen, Schulungen, Bewusstseinstrainings und mehr, so weiß der anonyme Cyberexperte im Gespräch mit dem KURIER doch auch: „Egal, wie sehr wir uns wehren, sie reagieren sofort und finden was Neues. Sie haben über hundert Jahre Erfahrung. Und sie werden nie aufhören.“
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