Außenministerrat ohne Österreich und ein Kanzler im Gewessler-Stil

EU Foreign Affairs (Development) Council meeting in Brussels
Die Bundesregierung muss europapolitisch endlich in die Gänge kommen. Ein Gastkommentar von Stefan Brocza.

Am letzten Montag fand in Brüssel der EU-Außenministerrat statt. Schwerpunktmäßig ging es um Entwicklungspolitik, konkret etwa um die Ukraine, die Beziehungen EU-Afrika und um einen ersten Meinungsaustausch zum künftigen Budget für die Jahre 2028-2034. Alles interessant und durchaus wichtig. Wer fehlte, war ein Regierungsmitglied aus Österreich. Und nur Minister und Staatssekretäre sind in EU-Ministerräten stimmberechtigt.

Zuständig für diesen Ministerrat ist Außenministerin Beate Meinl-Reisinger. Sie hatte aber offensichtlich anderes zu erledigen als ihr Herzensthema Ukraine in Brüssel zu besprechen. Nun ist ihr zur Unterstützung bei der Erledigung ihrer Amtstätigkeit ein eigener Staatssekretär beigegeben. Doch auch Sepp Schellhorn zog es vor, nicht nach Brüssel zu reisen. Wahrscheinlich war er noch damit beschäftigt, seine Wahl zum Salzburger Neos-Landeschef mit fulminanten 52 Prozent zu feiern. Vielleicht ist es aber auch so etwas wie Neos-Politik, EU-Abstimmungen grundsätzlich nicht so wichtig zu nehmen – immerhin ist erst kürzlich bekannt geworden, dass ihr Paradeeuropaabgeordneter Helmut Brandstätter dieses Jahr bei 40 Prozent der Abstimmungen gefehlt hat.

Außenministerrat ohne Österreich und ein Kanzler im Gewessler-Stil

Stefan Brocza

Stockers Alleingang

Aber nicht nur im Außenministerium scheint man noch nicht ganz im Amt angekommen zu sein. Auch der Bundeskanzler hat jüngst durch einen europapolitischen Alleingang auf sich aufmerksam gemacht. Es ging dabei zwar nicht um die EU, sondern um den Europarat, aber immerhin um Europa. Christian Stocker hat gemeinsam mit acht anderen Regierungschefs dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg einen Brief geschrieben, wonach dieser doch gefälligst seine ständige Rechtsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ändern möge, damit man ausländische Straftäter leichter abschieben könne. Nun mag das politisch ein legitimes Anliegen sein, die Art und Weise wie das präsentiert und kommuniziert wurde, war es aber jedenfalls nicht. Regierungsintern gab es zudem Verstimmung, da es dem Kanzler auch gar nicht zusteht, von sich aus und ohne jede Absprache mit den anderen fachlich betroffenen und zuständigen Ministerien, an den EGMR heranzutreten. Insbesondere das Neos-geführte Außenministerium war irritiert. Fällt doch der Europarat in dessen Zuständigkeit. Und das im Ministerium angesiedelte Völkerrechtsbüro hätte sicher auch noch die eine oder andere Anmerkung gehabt. Erinnert man sich an die ÖVP-Aufregung, als eine Grüne Ministerin im Alleingang Dinge entschied, ohne sich mit mitbetroffenen ÖVP-Ministern abzusprechen, so ist die jetzige Vorgehensweise von Stocker wohl noch irritierender.

Auch in anderen Ressorts droht EU-Ungemach. Von der österreichischen Öffentlichkeit unbemerkt ist etwa in Deutschland bereits eine heftige Diskussion darüber entbrannt, dass als Nebeneffekt rigider EU-Klimaschutzvorschriften ein Standard-Notfallmedikament für Asthmatiker nicht mehr erlaubt sei. Das dafür verwendete Treibgas, mit dem im Notfall der lebensrettende Wirkstoff verabreicht wird, würde das Klima zu sehr schädigen. Ersatzmedikament sei keines in Sicht. Dass dies kein Einzellfall ist, zeigt auch das bevorstehende Verbot eines weit verbreiteten Standardmedikaments für Diabetiker. Hier schlägt die EU-Abwasserrichtlinie erbarmungslos zu. Zumindest gibt es hier pharmazeutischen Ersatz. Dieser ist aber natürlich um vieles teurer. Die zuständigen Minister Totschnig (Klima) und Schumann (Gesundheit) haben dazu jedenfalls noch nichts verlauten lassen.

Und dann gibt es da noch eine jüngste Entscheidung des EU-Gerichtshofs in Luxemburg, mit der eine EU-Kompetenz geschaffen wurde, die es der EU ermöglicht, darüber mitzuentscheiden, wer den eigentlich Staatsbürger eines EU-Staates werden darf. Liest man die Begründung des EuGH im Detail, würde man sehen, dass davon etwa auch Österreich betroffenen ist. Die Vergabepraxis an Hinterbliebene von Holocaustopfern könnte etwa europarechtswidrig sein. Der erst jüngst frei gekommenen austro-israelischen Hamasgeisel, die von Österreichs Politikern stolz herumgereicht wurde, müsste allenfalls sogar die Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden. Darüber redet niemand. Die Bundesregierung ist nun fast schon drei Monate im Amt, europapolitisch ist sie aber noch immer nicht in die Gänge gekommen.

Zum Autor:

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

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