Halbzeit im Thomas-Mann-Jahr: Am 6. Juni 1875 wurde mit Thomas Mann der wohl bedeutendste deutsche Schriftsteller des an großen Autoren nicht armen 20. Jahrhunderts geboren. Die Würdigungen für den vielgesichtigen und wohl gerade deshalb immer noch so aufregenden Schriftsteller nehmen, ebenso wie die Neuerscheinungen und Neuauflagen, kein Ende.
Klassiker wie der Zauberberg wurden bei seinem Stammverlag S. Fischer in Schmuckausgaben neu aufgelegt. Ebendort hat man nun auch Manns Reden, Essays und Ansprachen zur Demokratie in einem Band versammelt: Zur Verteidigung der Demokratie plädiert, so die Herausgeber Kai Sina und Matthias Löwe, für einen „gelassenen Umgang mit Pluralität“. Etwas trivialer, dafür durchaus unterhaltsam, ist manche Einsicht, die Felix Lindner im Büchlein Mit Thomas Mann durchs Jahr versammelt: 365 Kurzzitate aus den Tagebüchern zeigen den Alltag des Nobelpreisträgers mit all seinen Fährnissen: „Die Freßlust hat zugenommen“, beschwert er sich etwa über mangelnde Diätdisziplin.
Für Fans: Thomas Mann als Playmobil-Figur – mit den „Buddenbrooks“
Zu den schrägsten Thomas-Mann-Devotionalien gehört eine Playmobil-Figur, die der S. Fischer Verlag gemeinsam mit dem Buddenbrookhaus herausgebracht hat: Die Figur stellt Thomas Mann in hellem Anzug und mit Hut dar, in der Hand einen Spazierstock und ein aufgeschlagenes Buch – der Roman „Die Buddenbrooks“, der, veröffentlicht 1901, Thomas Manns Weltruhm begründete.
In den Jahren kurz davor, als aus dem Mehrfachsitzenbleiber ein berühmter Autor wurde, setzt Matthias Lohres Roman Teufels Bruder ein: Er beschreibt die Zeit, die Thomas Mann ab dem Sommer 1895 mit seinem Bruder Heinrich in Italien verbrachte und dort, wie er kurz vor seinem Tod schrieb, dem „Teufel“ begegnete. Außerdem einem wunderschönen jungen Mann. Beide Begegnungen wurden zu Literatur: Der Teufel samt Pakt kommt in Doktor Faustus vor, der Jüngling etwa im Tod in Venedig.
Matthias Lohre: „Teufels Bruder“ Piper. 541 Seiten. 26,95 Euro
Wesentlich mehr über Thomas Mann erfährt man in Tilmann Lahmes neuer Biografie Thomas Mann. Ein Leben. Der Literaturhistoriker konnte dafür auf einem gehörigen Fundus aufbauen – er hat mehrere Bücher über die Künstlerfamilie veröffentlicht, zuletzt 2015 den Bestseller Die Manns – Geschichte einer Familie. Ins Zentrum seiner neuen Biografie stellt Lahme nun den lebenslangen Kampf Thomas Manns mit seiner Homosexualität und dessen Konsequenzen für seine Literatur. Anhand von Tagebucheinträgen, Briefen aber auch inhaltlichen Auseinandersetzungen mit Manns Werken zeigt Lahme, wie dieser die Kunst der Verdrängung beherrschte. Obwohl er auch da ambivalent war: „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?“ leitet Mann seinen vierbändigen „Josef“-Zyklus ein. Andererseits sind viele Tagebucheinträge verblüffend offenherzig. „Warum schreibe ich dies alles? Um es noch rechtzeitig vor meinem Tod zu vernichten? Oder wünschte, dass die Welt mich kenne?“, schrieb Mann, 75-jährig und frisch verliebt in einen Kellner, im August 1950.
Tilman Lahme: „Thomas Mann. Ein Leben“ dtv. 529 Seiten. 29,95 Euro
Im Anhang von Lahmes empfehlenswerter Biografie findet sich ein bis heute ungedruckter Essay von Susan Sontag (dessen Inhalt sie später, stark verändert, in ihren Tagebüchern wiedergab). Er beschreibt einen Besuch der damals 16-Jährigen bei ihrem Idol. Das Erste, was einen gewaltigen Eindruck hinterließ: „Thomas Mann sah genau so aus wie auf den Fotos.“ Thomas Mann ist es tatsächlich ein Leben lang gelungen, ein bestimmtes Bild von sich zu bewahren.
Julian Voloj, Friedhelm Marx, Magdalena Adomeit: „Thomas Mann 1949“ Knesebeck. 96 S. 25,50€
Einer besonders dunklen Episode widmet sich die Graphic Novel Thomas Mann 1949. Rückkehr in eine fremde Heimat. Sie erzählt, wie Mann 16 Jahre nach seiner Flucht vor den Nationalsozialisten in das nunmehr geteilte Deutschland reiste, um den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main zu erhalten. Die Verleihung wurde von Protesten begleitet: Ein „jüdischer Dollar-Hamster“ sei er, fanden viele im Post-Nazi-Deutschland. Dass er auch in der nunmehrigen DDR auftrat, beendete seine Karriere in den USA.
Martin Mittelmeier: „Heimweh im Paradies“. Dumont. 189 S. 23,95€
1938, er lebt da noch in der Schweiz, tourt Thomas Mann mit Frau Katia und Tochter Erika durch die USA, um Vorträge über Deutschland zu halten. Die Demokratie werde siegen, ist er noch überzeugt und bald wird der berühmte Satz „wo ich bin, ist Deutschland“ fallen. Kurz darauf ziehen die Manns nach Princeton und anschließend nach Kalifornien, bevor sie 1952 in die Schweiz zurückkehren. Von diesen amerikanischen Jahren berichtet Martin Mittelmeiers erzählendes Sachbuch Heimweh im Paradies. Detailreich und feinhumorig schildert Mittelmeier, wie sich Thomas Mann in Los Angeles einlebte, seinen „Joseph“-Zyklus beendete und den „Doktor Faustus“ bewältigte. So soll etwa Disneys „Schneewittchen“ mit seiner Trickfilmtechnik Eindruck auf Mann gemacht haben: „Mühelos Zeit und Raum überwinden und sich zugleich in (...) Details verlieren“ – ideal für das vierbändige „Joseph“-Projekt.
Die Manns treffen in Kalifornien ganz Europa wieder: Aldous Huxley, Vicki Baum, Arnold Schönberg (Vorbild für Doktor Faustus, bei dem Adorno wesentlich half). Mittelmeier berichtet von Politik, Literatur, Prominenz. Wenig Privates. Unter anderem aber davon, dass Mann seinen geliebten Enkel im „Doktor Faustus“ vor allem deshalb grausam sterben ließ, um den anderen Großvater zu übertrumpfen. Reine Eifersucht also. Ein Hauch Ironie kann dem großen Thomas Mann nicht schaden. An anderer Stelle heißt es schließlich: „Er nimmt, was er für das Seine hält, wo immer er es findet.“
Klaus und Erika Mann waren die Lieblingskinder ihrer Eltern. Künstlerisch begabt, unzertrennlich bis zu Klaus’ Tod.
Thomas und Katia Mann hatten ihre Kinder nicht alle gleich lieb. Die Kinder wussten das.Thomas Mann hatte sechs Kinder und manche mochte er lieber als andere. Diese für die Betroffenen erschütternde Erkenntnis gewinnt, wer etwa den Briefwechsel Manns mit seiner Frau Katia liest. Am wenigstens konnten die Eltern mit Monika, Golo und Michael anfangen. Sie bevorzugten Nesthäkchen Elisabeth sowie die Ältesten, Klaus und Erika. Was diese nicht davor bewahrte, drogenabhängig zu werden, und, im Fall von Klaus, elend zugrunde zu gehen.
Armin Strohmeyr: „Allianz der Heimatlosen“ ebersbach & simon. 144 Seiten. 20,60 Euro
Allianz der Heimatlosen widmet sich dem ausschweifenden Party-und Liebesleben der Dichterkinder und deren Gefährtin, der Schweizer Autorin und Abenteurerin Annemarie Schwarzenbach, ebenso wie Klaus und Erika wohlhabend, homosexuell und drogenabhängig. Thomas Mann sagte zu ihr: „Merkwürdig, wenn Sie ein Junge wären, müssten Sie doch als ungewöhnlich hübsch gelten.“ Die Eltern hatten kein Problem mit ihrem parteiischen Verhalten: Elisabeth, die jüngste, war als einzige in Einzelporträts und als Büste in Thomas Manns Arbeitszimmer zugegen.
Annette Seemann: „Die Töchter des Zauberers“ ebersbach & simon. 335 Seiten. 25,70 Euro
Tochter Erika blieb dem Vater, in der Familie „Zauberer“ genannt, bis zuletzt als enge Beraterin treu. Die Töchter des Zauberers widmet sich der ungerechten Liebesaufteilung im Hause Mann und folgt den Lebenswegen der Töchter Erika, Monika und Elisabeth. Ausgerechnet „Problemkind“ Monika überstand persönliche Tragödien gut. Die wenig geliebte Tochter blühte weit weg von ihrer Familie auf und fand ihren Frieden auf der Insel Capri, wo sie sich als Feuilletonistin für deutschsprachige Medien verdingte. Die Texte, die sie über ihren Vater veröffentlichte, waren erfolgreich, dem Familienzusammenhalt aber nicht zuträglich. Man fand nie mehr zueinander.