Eine Altersgruppe, der also mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsste. „Wir haben wenig qualitative Studien, die sich mit der subjektiven Lebensrealität von 100-Jährigen auseinandersetzen. Und wenn, dann haben wir sie in der Forschung meist als biografische Speicher gesehen“, so Gallistl. Bei ihrem eigenen Forschungsprojekt, das vom Land NÖ gefördert wurde, sollte der Blick nicht zurück, sondern nach vorne gerichtet werden. „Wir haben in qualitativen Interviews nach der Zukunft gefragt. Außerdem haben wir die Teilnehmenden gebeten, dass sie Fotos von Orten oder Situationen machen, die wichtig für sie sind.“
25 Personen haben daran teilgenommen, mehr Frauen als Männer. Generell sind die 100-Jährigen eine fitte Altersgruppe, die überdurchschnittlich gesund und wenig pflegebedürftig ist. Gallistl erzählt, dass von den etwa 300 Hundertjährigen, die derzeit in Niederösterreich leben, rund zwei Drittel zu Hause leben und etwa ein Viertel überhaupt keinen Pflegebedarf angeben würde.
Fokus auf Zukunft
„Starke Belastungen für das Gesundheitssystem sehen wir in dieser Gruppe sogar etwas weniger als bei den jüngeren Alten. Die durchschnittliche gesunde Lebenserwartung liegt in Österreich bei zirka 61 Jahren – 100-Jährige bleiben aber oft bis ins hohe Alter gesund“, so die Forscherin. Noch ein Grund, warum es sich lohnen würde, mehr über die Über-100-Jährigen in Erfahrung zu bringen. Vielleicht ist „ihr Geheimnis“ der Fokus auf die Zukunft.
„Wir haben in den Interviews gesehen, dass die Zukunft auch in diesem Alter noch eine wichtige Rolle spielt. Da ist die Freude auf den Geburtstag im nächsten Jahr, oder es wird monatlich etwas Geld zur Seite gelegt für ein neues Bett, um besser zu schlafen“, so Gallistl über die Ergebnisse der Studie. Es seien zwar nicht mehr die „Big Futures“ – also die Pläne zur Lebensgestaltung – im Vordergrund, sondern die „Little Futures“. „Zukunftserzählungen sind auch bei Hochaltrigkeit ein wichtiger Bezugspunkt. Generell sind Zukunftsperspektiven wichtig für ein gutes Leben. Eine Frau hat erzählt, dass sie sich vorgenommen hatte, mit anderen nackt in den Teich zu hüpfen, wenn sie 100 Jahre alt wird“, schildert die 34-Jährige mit einem Schmunzeln.
Weiters wurde im Rahmen der Studie festgestellt, dass die Gemeinde und die unmittelbare Wohnumgebung – das Bankerl, der Marktplatz, die Kirche – eine zentrale Rolle im Leben der 100-Jährigen spielen. „Man verbindet hohes Alter oft mit Rückzug – unsere Forschung hat gezeigt, dass es nicht so ist. Öffentlichkeit ist ein wichtiger Bezugspunkt“, betont Gallistl.
Erfolgsrezept
Mit Bürgermeistern habe man deshalb Workshops zu Barrierefreiheit und auch dazu, wie sich der öffentliche Raum zugänglich machen lässt, gemacht.
Und schließlich fragt man sich doch nach der Formel für das gesunde Altern. In der Selbsterzählung dieser Generation – der Generation der Kriegs- bzw. Nachkriegskinder – sind das neben Schmalzbrot, Knoblauch und dem Glas Rotwein harte Arbeit und das Aushalten großer Herausforderungen. Nachfolgende Generationen werden andere Erzählungen dazu finden, was ein langes Leben ausmacht.
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